Der tägliche Elchtest
Reise zurück in das Jahr 2005 mit dem Titelsong von The Bravery
„Stark ist, wer keine Fehler macht, stärker, wer aus seinen Fehlern lernt.“ Na, wer hat das gesagt? Es war Boris Becker 1998 als Testimonial für Mercedes-Benz nach dem Debakel der A-Klasse (Elch-Test). Leider hat er sich selbst nicht daran gehalten.
In Bremen, Mercedes-Benz produziert dort die C-Klasse, arbeitet Ines als Projektleiterin bei einer renommierten Event-Agentur (sie trägt den Spaß im Namen). Sie fühlt sich eigentlich dort gut aufgehoben, bis man sie fragt, ob sie in die Niederlassung Frankfurt wechseln könnte. „Auf keinen Fall!“ war ihre empörte Antwort. Die Absage scheint man ihr irgendwie Übel zu nehmen, denn ihr Teamleiter behandelt sie fortan kühler als sonst.
Das Mercedes-Werk bzw. das Kundencenter ist ein beliebter Veranstaltungsort in der Region und bietet Werkführungen mit verschiedenen Formaten. Ines plant dort ihre erste Veranstaltung und macht eine Site Inspection. Während sie in der Wache am Werktor wartet, entdeckt sie einen Aushang mit einer Stellenausschreibung. „Manager VIP Bookings, Customer Care, Events gesucht“. Ines liest den Ausschreibungstext mit angehaltenem Atem, sie merkt, wie sich ihr Puls beschleunigt. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht als sie den Aushang abfotografiert.
Noch am gleichen Abend mailt sie ihre Bewerbungsunterlagen. Kurzum, sie wird eingestellt, verdient mehr, hat mehr Urlaubstage, ein verbilligtes Kantinenessen, ein Job-Ticket. Sie kann ihr Glück kaum fassen.
Ihre erste Veranstaltung hatte es in sich – der Vorstand Produktion hatte sich angekündigt. Der Werkleiter war nur noch ein Nervenbündel. Ines hatte schon viel über ihn gehört, bevor sie ihn das erste Mal zu sehen bekam: Er galt als Pedant, autoritär bis in die Spitzen seiner gegelten Haare, vor dem alle kuschen. Seine Rundgänge waren legendär wie verhaßt. In Stuttgart dagegen wurde er für sein strammes Kostenmanagement geschätzt, sein Führungsstil war nicht bekannt.
Ines machte seine Bekanntschaft bei der Abnahme. „Junge Frau, das ist das falsche Logo!“ Ines zuckte zusammen und stammelte: „Es entspricht der Vorschrift im Corporate Design-Handbuch.“ „Papperlapapp, austauschen. Heute Abend.“ Und ließ sie damit stehen. Zu ihrem Entsetzen erkannte Ines, daß man ihr nicht die aktuelle Version des Manuals gegeben hatte.
Am nächsten Morgen, eine Stunde vor Beginn: „Junge Frau, die Stühle stehen schief und schräg. Sind Sie eigentlich vom Fach?“ „Es tut mir leid, aber der Techniker mußte noch mal auf die Leiter, um das Publikumslicht neu einzurichten.“ Nach der erfolgreich verlaufenden Veranstaltung gab es für Ines statt Lob nur einen schiefen Blick von der Seite.
Eine Woche später beim Tag der offenen Tür im Kundencenter erntete Ines den nächsten Rüffel. „Das ist die falsche Farbe! Das mittlere Ausstellungsfahrzeug hat die falsche Farbe.“ Ines perplex: „Das steht aber so im Lieferschein, ich habe alles kontrolliert.“ „Das ist mir egal. Das Rot paßt nicht zum Farbschema des Kundencenters. Kümmern sie sich drum.“
Bei der Endkontrolle kurz vor dem Einlaß bleibt der Werkleiter am Rednerpult stehen. „Ich trinke nur Coke Zero, warum wissen Sie das nicht? Das steht alles in unserem Event-Handbuch!“ „Das habe ich nicht bekommen.“
Auch diese Veranstaltung wurde trotz der falschen Cola ein großer Erfolg und in der Lokalpresse gefeiert. Ines war nicht zum Feiern zu Mute und fragte sich ernsthaft, ob ihr Job-Wechsel eine gute Idee war.
Wir lassen sie mit diesen Zweifeln allein und fragen, wie man es besser macht. Unternehmen mit einer positiven Fehlerkultur zeichnen sich durch eine größere Mitarbeiterzufriedenheit und stärkere Innovationsfähigkeit aus. Schließlich lernt man nur aus Fehlern, Organisationen wie auch individuell.
Keep on rockin‘
Abb.: DALLE3